FAZ Feuilleton vom 18. Juli 2008: „Putztruppe für die Emanzipation“
Wo die wilden Mädchen toben: Das Hannoveraner Wilhelm-Busch-Museum zeigt Franziska Beckers Cartoons, eine Blütenlese des feministischen Humors.
Von Andreas Platthaus
Scheint in gehobener Stimmung zu sein, die Putzfrau, die sich da am Kronleuchter durchs Direktorenzimmer schwingt. Ihre Kolleginnen schmauchen dem Chef derweil die Zigarren weg und machen seinen Terminkalender zu Konfetti. Den eigentlichen Herrn übers Büro hat das muntere Trio mit einem Schwämmchen geknebelt, gefesselt und kurzerhand in den eigenen Papierkorb gestopft. „Rollentausch“„ ist diese Zeichnung betitelt, die man derzeit im Hannoveraner Wilhelm-Busch-Museum sehen kann, und sie ist typisch für das Werk von Franziska Becker.
Typisch in dreierlei Hinsicht. Einmal wegen des Inhalts. Franziska Becker ist berühmt geworden durch ihre Arbeit als Cartoonistin für die Zeitschrift „Emma“. Seit deren erster Ausgabe von 1977 ist sie regelmäßig darin vertreten, und natürlich gilt ihr Hauptaugenmerk dem Feminismus. Allerdings führt sie ihn nicht als verbissenen Kampf vor, denn Emanzipation heißt für Becker, sich nicht nur über Männer zu beklagen, sondern vor allem über die willigen Rollenentsprechungen durch andere Frauen. So gilt ihr bitterer Humor meist dem eigenen Geschlecht in Form von ausgehungerten Modepüppchen, angepassten Heimchen und überengagierten Emanzchen. Ihre Heldinnen dagegen sind handfeste Frauen, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen - wie die Putztruppe im „Rollentausch“.
Zweitens ist das Blatt typisch dadurch, dass es ein Cartoon ist. Zwar wurde Franziska Becker bereits 1988 als beste deutsche Comiczeichnerin ausgezeichnet, doch der Großteil der aus den letzten zwanzig Jahren zusammengetragenen Bilder in Hannover besteht aus einzelnen Witzzeichnungen, obwohl sich dazwischen immer wieder auch zweiseitige Bildergeschichten oder Serien von Einzelillustrationen zu vorgegebenen Themen wie etwa dem Kopftuchstreit finden. Doch selbst die drei Großformate, die in Hannover präsentiert werden, zwei eindrucksvolle Selbstporträts („Kölner Atelier“ von 2001 und „Es gibt keine Künstlerinnen“ von 2000) sowie das 2007 gemalte mächtige Karikaturenbild „Old Europa - New World“, sind noch ganz der Pointe verpflichtet, obwohl sie auch auf Collageelemente setzen und eingearbeitete Objekte wie Zifferblätter, Zeichenfedern oder Farblappen enthalten, also durchaus Kunst im emphatischen Sinne sein sollen. Die Künstlerin will aber gar nicht mehr sein als komisch - und das ist ja durchaus schwierig genug.
Und schließlich ist „Rollentausch“ typisch betreffs des Zeichenstils. Franziska Becker, 1949 in Mannheim geboren, begann in den frühen siebziger Jahren ihr Kunststudium in Karlsruhe (unter anderen bei Markus Lüpertz), sattelte jedoch bald auf komische Kunst um, und wer das als feministisch bewegte Frau in den siebziger Jahren tat, konnte am großen Vorbild der Französin Claire Brétecher nicht vorbei. Alice Schwarzer, mit der französischen Cartoonistenszene bestens vertraut, entdeckte die junge deutsche Zeichnerin und machte sie zum humoristischen Aushängeschild von „Emma“. So mancher Klassiker aus Beckers Feder ist nun im Wilhelm-Busch-Museum zu sehen: die kleine Dame etwa, die ihre Zukunft in den Sternen sucht und dort mit dem Fernrohr die Konstellation eines Bügeleisens erspäht. Die Managerinnen in ihren Nadelstreifen-Röcken. Oder die Zeichnung „Girlsday“, in der draußen auf dem verschneiten Schulhof eine wilde Mädchenbande tobt, während die Jungs im Klassenraum an den Kragen ihrer Kleidung von den Garderobenhaken baumeln.
Was man in Hannover dagegen neu kennenlernt, ist die Arbeitsweise von Franziska Becker, die nicht nur am Original, sondern auch dank einiger ausgestellter Skizzenbücher genau analysiert werden kann. Und ihr Wortwitz, der sich erst in der Fülle dieser Retrospektive in ganzer Qualität erweist. So gibt es eine winzige Zeichnung von der Entstehung des Mannes mit dem Text: „Den ersten Scherz erlaubte sich Göttin, als sie, nachdem sie fertig mit der Welt ist, aus dem letzten Restchen Lehm noch einen Schnörkel anbringt.“
Wie diese Szene aussieht, kann man sich denken, aber dass hier der Humor von Göttin betont wird, den ihr biblischer Kollege nun partout nicht aufweist, ist im Kontext einer Witzzeichnung eine ziemlich selbstbewusste Aussage. Dass diese höhere Wesenheit fertig mit der Welt ist, darf man ruhig doppeldeutig lesen. Und dass Göttin sich in jener Gestalt, in der sie uns von Franziska Becker vorgeführt wird, zudem einmal die Zähne richten lassen sollte, weist sie selbst als Mangelwesen und damit uns ähnlich aus. Göttlich kann Menschenwerk jedenfalls sein, wie die Schau im Wilhelm-Busch-Museum beweist.
Franziska Becker. Im Wilhelm-Busch-Museum Hannover, bis 24. August. Der Katalog, dessen Abbildungen nicht genau mit der Ausstellung übereinstimmen, kostet 24,80 Euro.